Chemie-Transporte: Wenn einfach alles passen muss

16. 10. 2024

Vier Millionen Tonnen Chemieprodukte transportiert die RCG pro Jahr und versorgt so Europas Industrien mit Rohstoffen. Worauf es beim Transport ankommt, und wie man höchste Standards verinnerlicht, erzählen die Logistikprofis Viktoria Pokorny und Anika von der Heiden.

Chemie-Transporte gehören zu den größten Herausforderungen der Logistikbranche. Das liegt vor allem am Ausgangsmaterial. Im besten Fall sind Chemikalien sensibel, im denkbar schlechtesten sind sie hochexplosiv – klar, dass peinlich genaue Planung sowie höchste Qualitäts- und Sicherheitsstandards die absolute Grundvoraussetzung für jeden Transport sind. Wir haben Segment Managerin Viktoria Pokorny und Key Account Managerin Anika von der Heiden zum Gespräch getroffen und mit ihnen über hohe Anforderungen und den Anspruch, diesen stets gerecht zu werden, gesprochen.

Viele können sich unter Chemie nur schwer etwas vorstellen. Die meisten erinnern sich wohl an ihre Schulzeit zurück, daran, wie sie lange chemische Verbindungen abgeschrieben haben. Vereinfacht gesagt, wo komme ich mit Chemie in Berührung?

Viktoria: Die Chemie ist ein grundlegender Bestandteil nahezu jeder Branche. Ihre Basisprodukte finden sich im Baustoffbereich, im Automotivbereich oder in der Textilbranche. Chemie findet sich überall, oder wie man auch gerne sagt, alles Leben ist Chemie.

Und das heißt ganz konkret?

Viktoria: Nehmen wir Methanol, das für die Herstellung von Formaldehyd verwendet wird, einem wichtigen Ausgangsstoff für viele Harze. Oder Natronlauge, die bei der Erzeugung von Zellstoff und Cellulosefasern für die Textilindustrie zum Einsatz kommt. Styrol wiederum ermöglicht die Erzeugung von Dämmstoffen wie Styrolplatten. Gut zwei Drittel der Stoffe, die wir transportieren sind Flüssiggüter, ein Drittel ist fest. Vieles davon muss mit großer Sorgfalt transportiert werden. Unsere Kunden sind da sehr genau.

Inwiefern?

Anika: Wie wichtig Reinheit und Qualität der Stoffe beim Chemie-Transport sind, zeigt sich sehr gut beim Zugang zum Wagenmarkt. Wir vermieten zwar auch, aber unsere Kunden stellen zu 99 % ihr eigenes Equipment. Damit kann von Anfang an garantiert werden, dass in den Kesselwagen und im Spezial-Equipment ausschließlich ein und derselbe Stoff transportiert wird. Das ist immens wichtig, denn schon ein paar Tropfen können ein Produkt verunreinigen und wertlos machen und das wollen wir auf keinen Fall riskieren.

Sind Chemieprodukte so etwas wie die Mimosen unter den Transportgütern?

Anika: (lacht) Sie sind auf jeden Fall hochsensibel, und sie fordern einen sehr umsichtigen Umgang. Das heißt, wir sind an gewisse Restriktionen gebunden und halten uns penibel an unser RID (Ordnung über die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter, Anm.). Teilweise müssen die Transporte sogar temperaturgeführt sein. Wir verwenden dafür isolierte Kesselwagen, damit die Güter eine bestimmte Temperaturbereich nicht verlassen. Mitunter ist es auch so, dass die Kesselwagen nicht zu lange stehen dürfen, weil sich das Produkt in der Sonne erhitzt und damit unbrauchbar wird. Das wird mittels Sensoren an den Wägen auch regelmäßig gecheckt.

Klingt nach ziemlich vielen Dingen, die man beachten muss …

Anika: Wir haben so wie unsere Kunden das Bewusstsein für den Umgang mit chemischen Stoffen verinnerlicht. Das beginnt bei der ersten Anfrage und geht bis zur Zusammenstellung der Züge. Wir handeln mit besonderen Stoffen und brauchen darum oft auch einen besonderen Zugang. Alle Mitarbeiter:innen, die mit Gefahrgut in Berührung kommen, müssen daher regelmäßig geschult werden. Und auch der Einzelwagenverkehr ist für uns sehr wichtig. Das kommt zum Teil daher, dass hochgiftige, entflammbare Stoffe, etwa Chlor, in den Produktionswerken nur zu einem geringen Teil vorhanden sein dürfen. Wir wollen und dürfen da auch nicht mit einem Ganzzug ins Werk fahren.

Sicherheit hat beim Schienengüterverkehr höchste Priorität, bedingt durch Gefahrengüter, die ihr transportiert, ist das Thema bei euch aber noch präsenter. Was macht ihr und woran müsst ihr auch für eure Kunden denken?

Viktoria: Wir sorgen für eine lückenlose Dokumentation bei jedem Transport. Das heißt, es müssen stets die entsprechenden Gefahrgutpapiere mitgeführt und an jedem Wagen angebracht werden. Dank internationaler UN-Nummern ist der Inhalt auf einen Blick erkennbar. Neben entsprechenden Schulungen ist auch der Check durch unsere Wagenmeister:innen bei den Chemietransporten penibel genau. Wir können nicht riskieren, dass zum Beispiel ein Domdeckel nicht richtig schließt und Gefahrgut austritt, selbst, wenn es nur ein paar Tropfen sind.

Vermittelt ihr diese Kompetenz im Umgang mit Gefahrgütern auch über den reinen Bahntransport hinaus?

Viktoria: Das tun wir. Wir verfügen in Krems über den bedeutendsten Chemiestandort Niederösterreichs. Wir betreiben dort ein Gefahrgutlager für unsere Kunden, bieten Value-Added-Services wie Umpacken von Waren, Etikettieren und mehr. In dem Zusammenhang liegt unser Fokus natürlich auf Eisenbahntransporten, wir bieten aber auch beispielsweise Lkw-Transporte an. Damit sind wir im Segment Chemie ein Rundum-Logistik-Dienstleister.

Reden wir über Europa und eure Warenströme. Wie geht’s dem Markt, woher kommen die Güter und wo liefert ihr sie hin?

Viktoria: Mit dem Beginn der Energiekrise kam es in der chemischen Industrie zu einem Wandel. Seit 2022 werden in Europa aufgrund der nach wie vor hohen Energiekosten weniger chemische Produkte produziert. Viele Konzerne haben ihre Produktionen ausgelagert in Länder, wo die Energiepreise nicht so hoch waren. Andere importieren Güter aus Ländern, wo einfach die Produktion billiger war und auch die Emissionsthematik nicht so eine große Rolle spielt wie in Europa. Das hat auch die Warenströme verändert. Seit 2023 importieren wir wesentlich mehr über die Häfen. Wir denken, dass diese Situation auch noch so lange bleibt, bis sich Europas Wirtschaft erholt. Das heißt für uns, dass die Warenströme über die Häfen sehr wichtig geworden sind und in dem Zusammenhang natürlich auch unsere Transferzugslösungen.

Welche Häfen sind das genau?

Anika: Für uns sind besonders die ARA-Häfen wesentlich (Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam, Anm.). Der Hafen Antwerpen ist unter den Top drei Chemieclustern weltweit, das ist die Chemiedrehscheibe in Europa schlechthin. Mit unserem Hub in Rheinkamp in der Nähe von Duisburg können wir unseren Kunden Transportlösungen bieten, mit denen sie einzelne Wagen von Antwerpen direkt nach Österreich transportieren können, ganz ohne Zwischenstopp. Aber auch unsere Kunden in Deutschland, die vor allem im Rhein-Ruhr-Gebiet verteilt sind, werden wir zukünftig durch einen neuen TransFER ansteuern und ihnen Nahbereichslösungen anbieten können.

Profitiert ihr davon, dass die RCG jetzt auch mit einem EVU in den Niederlanden vertreten ist?

Anika: Absolut. Der größte Benefit ist, dass wir jetzt mit Eigentraktion unterwegs sind und weniger auf Kooperationspartner angewiesen sind. Es ist immer einfacher, mit den eigenen Kolleg:innen in Kontakt zu treten und auch unsere Kunden schätzen ganzheitliche Lösungen. Das pusht auch unsere zwei essenziellen Verbindungen in dieser Gegend, den hochfrequenten TransFER Linz–Duisburg–Wels und der bereits oben genannte TransFER von Antwerpen nach Österreich. Damit fahren unsere Kunden Einzelwagen und profitieren zugleich von den Benefits großer, regelmäßiger Transferlösungen mit planbaren Umlaufzeiten und hinterlegten Fahrplänen.

Viktoria: Unsere Kunden schätzen es, wenn wir ihnen ein Rundum-Sorglos-Paket anbieten können. Wenn wir neben unserer Kompetenz im Gefahrguttransport auch über eine große Markt-Coverage verfügen, geben wir ihnen einen weiteren Grund, mit uns zusammenzuarbeiten.

Habt ihr Kunden-Beispiele, die euch in besonders guter Erinnerung geblieben sind?

Viktoria: Ich denke gerne an einen 100.000 Tonnen schweren Salztransport zurück, den wir für einen unseren großen österreichischen Chemiekunden vom Lkw auf die Schiene verlagert haben. Da ging es um 22 Lkw-Fahrten die täglich von Koper aus nach Österreich gemacht wurden. Wir haben da auf zehn Jahre Wagenmaterial zur Verfügung gestellt und auch im Sinne der Nachhaltigkeit echt geliefert.

Anika: Mir kommt immer eine Situation in den Sinn, die lange ziemlich ausweglos schien. Wir haben für einen Transport nach Duisburg Schwefeldioxid im Kesselwagen transportiert und wurden so wie unser Kunde von einer kurzfristigen Baustelle am falschen Fuß erwischt. Es drohte nicht weniger als ein Produktionsstillstand. Wir haben uns dann wirklich im Minutentakt bis in den späten Abend ausgetauscht. Dadurch konnten wir unserem Lokführer sofort nach der Freigabe der Baustelle das Go geben. Ich weiß noch, wie glücklich unser Kunde war. Wie sehr er geschätzt hat, dass wir da so flexibel sind und nicht einfach um 17 Uhr den Computer herunterfahren und nach Hause gehen oder aus der Lok aussteigen. Wir haben gesagt, wir ziehen das gemeinsam durch, und genau das haben wir getan.

Das Segment Chemie auf einen Blick

  • Organisation europaweiter End-to-end-Logistiklösungen
  • Nationale und internationale Verkehre (Ganzzüge, Wagengruppen, Einzelwagen)
  • Chemisch Technische Sicherheitsberatung
  • Gefahrgutläger für verschiedene Gefahrgutklassen inklusive Value Added Services wie Umpacken, Etikettieren, Kommissionieren und Zollmanagement
  • 4 Mio. Tonnen Gesamtvolumen (110.000 Wagen) jährlich

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