Digitale Automatische Kupplung: Revolution im Güterverkehr

19. 10. 2020

Im Interview: Clemens Först, Vorstandssprecher der Rail Cargo Group

Die ÖBB Rail Cargo Group ist Teil eines Konsortiums, das die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung vorantreibt. Warum beteiligt sich die RCG an diesem Projekt? Wo liegen die Herausforderungen? Und warum braucht es die DAK überhaupt? Wir haben unseren Vorstandssprecher Clemens Först um Antworten gebeten.

Wieso beteiligt sich die Rail Cargo Group an diesem Projekt?

Först: Wir wollen die Zukunft des Güterverkehrs in Europa aktiv gestalten. Und die digitale automatische Mittelpufferkupplung wird für den europäischen Schienengüterverkehr eine Revolution sein. Und zwar im doppelten Sinn. Zum einen, weil wir unseren Rückstand aufholen: Wir sind ja neben Nordkorea und Nordafrika die einzige Region der Welt, die noch die ineffiziente Schraubenkupplung einsetzt. Und wenn wir schon aufholen, gehen wir gleich noch einen Schritt weiter und leiten die Digitalisierung im Schienengüterverkehr ein. Wir werden nicht nur eine Mittelpufferkupplung einführen, sondern gleichzeitig auch eine Strom- und Datenversorgung in den Güterzug integrieren. Das ist die Voraussetzung für zukünftige Innovationen im Bereich des intelligenten Güterverkehrs und später einmal für das autonome Fahren.

Was kann die Digitale Automatische Kupplung leisten?

Först: Im Unterschied zur Schraubenkupplung, kuppelt die DAK automatisch. Das macht den Eisenbahnbetrieb deutlich effizienter und sicherer. Außerdem kann man mit der modernen Kupplung deutlich längere und schwerere Züge ziehen, was die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße erhöht. Und der dritte Effekt bezieht sich auf die Infrastrukturkapazität, da die Infrastrukturbetreiber bei Verwendung der DAK die Abstände zwischen den Zügen verringern können.

Welchen Mehrwert bringt die Digitalisierung?

Först: Der Mehrwert der Digitalisierung ist schon jetzt spürbar. Wir haben bereits alle unsere Güterwagen mit Sensorik ausgerüstet, die uns über die Position, Beschleunigungswerte etc. Auskunft geben. Das hilft bei der Instandhaltung, bei der Disposition, bei der Kundeninformation. Wir sind heute aber limitiert im Ausmaß an Daten, die wir generieren bzw. der Anzahl an Sensoren, die wir verbauen können, weil als Stromversorgung nur eine Batterie zur Verfügung steht. Mit der Strom- und Datenleitung am Zug können wir die Sensorik deutlich ausweiten und beispielsweise die derzeit noch manuell durchgeführte Bremsprobe automatisieren. Die Zielvision ist, dass man ähnlich wie beim Lkw nur mehr eine Person am Zug hat, bzw. langfristig gedacht, autonom fahren kann. Das betrifft den Einzelwagenverkehr ebenso wie den Ganzzugverkehr und den Intermodalverkehr.

Rund um die Einführung wird europaweit mit Kosten von rund 10 Milliarden Euro gerechnet. Warum lohnt sich diese Investition?

Först: Die lohnt sich langfristig, denn dieser Investitionssumme steht allein ein Produktivitätsgewinn von rund einer dreiviertel Milliarde Euro pro Jahr gegenüber. Nicht eingerechnet sind dabei noch Potenziale durch längere und schwerere Züge, durch die Einführung intelligenter Güterwägen auf Basis der Strom- und Datenversorgung bis hin zum autonomen Fahren und ultimativ einer besseren Infrastrukturauslastung. 10 Milliarden Euro sind viel Geld, man kann sie aber kaum besser investieren als in die DAK. Unser großes Ziel ist, Volumen von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Denn zumindest in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren, solange es keinen flächendeckenden Einsatz von Wasserstoff- oder E-Lkw mit jeweils nachhaltiger Energieversorgung gibt, ist die Schiene die einzige Möglichkeit, Wirtschaftswachstum und damit Transportwachstum mit den Klimazielen zu vereinen. Das Investitionsvolumen wird auch im Rahmen des europäischen Green Deal mitfinanziert werden, da sind wir in guten Gesprächen mit der Europäischen Kommission.

Welchen Zeitplan gibt es für die Einführung dieser Kupplung?

Först: Derzeit wird die Kupplung von den sieben Mitgliedern des Konsortiums getestet. Im Rennen sind vier Prototypen von verschiedenen Herstellern. Am Ende legen wir uns auf ein, dann herstellerunabhängiges, Design fest und machen entsprechende Testfahrten, bevor die Kupplung in Produktion gehen kann. Die Umrüstung wird dann bis spätestens Ende des Jahrzehnts dauern. In der Übergangsphase werden wir zwei Teilflotten haben. Das wird uns die Disposition erschweren, weil wir die beiden Kupplungssysteme nicht kombinieren können. Das lässt sich aber leider nicht vermeiden und ist mit einkalkuliert.

Wie wird sichergestellt, dass am Ende alle Player des europäischen Güterverkehrs mitmachen?

Först: Wir sind als europäischer Schienengüterverkehrssektor über die Plattform Rail Freight Forward bestens abgestimmt. Die Pilotversuche und die Festlegung auf den Standard der DAK passieren in Abstimmung mit Rail Freight Forward und der europäischen Kommission. Generell ist der wirtschaftliche Druck auf den gesamten Sektor so groß, dass wir quasi zu guter Zusammenarbeit “verdammt“ sind. Die Gefahr, dass einzelne Unternehmen gegensteuern, sehe ich daher nicht.

 

Das europäische Konsortium DAC4EU

Das Konsortium DAC4EU, bestehend aus dem Konsortiumsleader DB AG, den Güterbahnen ÖBB Rail Cargo Group, DB Cargo und SBB Cargo sowie den Wagenhaltern Ermewa, GATX Rail Europe und VTG, setzt sich dafür ein, Züge in ganz Europa mit der Digitalen Automatischen Kupplung auszustatten. Mit Juni 2020 hat das Konsortium seine Arbeit aufgenommen. Bis 2030 sollen Züge in ganz Europa mit der neuen Technologie ausgestattet sein und dazu beitragen, dass der Schienengüterverkehr eine wesentliche Rolle im europäischen Mobilitätssystem der Zukunft spielt. Das deutsche Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) finanziert das Projekt in der Projektlaufzeit von zweieinhalb Jahren mit rund 13 Millionen Euro.