Gender Diversity: Was wir aus der Forschung lernen können

24. 06. 2021

Wir bei der ÖBB Rail Cargo Group wissen: Vielfalt ist ein Erfolgsfaktor – schon heute, und erst recht in Zukunft. Auch die Forschung beschäftigt sich mit Gender Diversity und ihren Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft.

Wir haben mit Brigitte Ratzer von der TU Wien über den Sinn, die Chancen und den Status quo in Sachen Gender Diversity gesprochen.

Brigitte Ratzer ist Leiterin der Abteilung Genderkomptenz an der TU Wien.

Die Serviceeinrichtung setzt sich dafür ein, Frauen und Männern an der TU Wien die ihrer Qualifikation entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen und für Frauen bestehende Nachteile auszugleichen.

Sie forscht zu Themen wie Gender & Arbeitswelt, Gender in Lehre und Studium und dem Zusammenhang von Innovation und Geschlecht. Im Gespräch gewährt uns die Expertin Einblick in ihre Arbeit und gibt Tipps für mehr Chancengleichheit im Unternehmen sowie im Mobilitätssektor.

In welchem Bereich sind Sie tätig und auf welchen Fokus setzen Sie dabei?

Mein Arbeitsauftrag lautet Chancengleichheit für Frauen an der Technischen Universität Wien. Der Fokus meiner Abteilung liegt darauf, die Universitätsleitung zu beraten, WIE dieser Auftrag in der Praxis umgesetzt werden kann. Das reicht von Programmen für Schülerinnen, um ihnen Technik als ein für sie interessantes Feld zu eröffnen, bis zu Schulungen für Berufungskommissionen, um den Gender Bias in unseren Auswahlverfahren zu minimieren.

Aus der Sicht der Wissenschaft: Warum sind diverse Teams – auch was das Geschlecht betrifft – so wertvoll?

Viele Publikationen zeigen, dass diverse Teams, die gut funktionieren, eine andere Art der Kommunikation haben. Es zeigt sich insbesondere: Zusammenarbeit in Gruppen verbessert sich durch die Anwesenheit von Frauen. Der Effekt erklärt sich teilweise durch einen höheren Grad an sozialer Kompetenz von Frauen. Sie erkennen nichtverbale Signale besser und folgern zutreffender, was andere Personen denken oder fühlen. Gruppen mit mehreren Frauen zeigen auch ein anderes Gesprächsverhalten: öfterer Sprecher:innenwechsel ermöglicht besseres aufeinander reagieren und das Einbeziehen von mehr Wissen und Qualifikationen unterschiedlicher Gruppenmitglieder. 

Welche sind Ihres Erachtens die wichtigsten Hebel für Unternehmen, um Gender Diverstität zu fördern?

Alltagskultur, Quote, Alltagskultur. Wenn wir wollen, dass lang eingelernte Stereotype aus den Köpfen der Menschen (langsam) wieder verschwinden, dann müssen wir dem gelebte Erfahrungen entgegenhalten. Viele Diversitäts-Trainings arbeiten mit Übungen, die erfordern, sich in eine andere Person zu versetzen, und deren Perspektive einzunehmen. So etwas ist sehr nützlich, um ein Verstehen anderer Positionen zu ermöglichen oder Vorurteile auch als solche zu erkennen. Um „alternative“ Erfahrungen zu machen, hilft auch die Quote: zunächst müssen Frauen überhaupt in nennenswerter Anzahl in Positionen kommen, damit sie dort wirksam und sichtbar werden. Wenn ich im Unternehmen öfter die Erfahrung mache, dass ich mit einer Frau im Team gut zusammenarbeite, wenn meine Chefin sich als kompetente Führungskraft erweist, dann erlerne ich Schritt für Schritt auch einen anderen Blick auf die Kompetenzen von Frauen, Männern und allen weiteren Geschlechtern. 

Wo sehen Sie die größten Hürden und welche Möglichkeiten für Frauen, in technischen Berufen Fuß zu fassen? Welche Chancen sehen Sie für die Branche?

Die größte Hürde: unsere gesellschaftlichen Vorurteile. Noch immer denken wir, Männer sind in jedem Fall technisch kompetent und Frauen sind das nicht. Als Chance sehe ich die vielen jungen Frauen, die sich nicht in ein Schema pressen lassen und viel selbstbewusster auch untypische Berufe ergreifen. Und, dass wir schon Role Models haben, die zeigen: es geht!

Wo steht der Mobilitätssektor, im speziellen der Schienengüterverkehr, in Sachen Gender Diversity? Und wo sehen Sie den größten Aufholbedarf?

Zum Schienengüterverkehr kenne ich keine konkreten Zahlen. Ich vermute aber, dass der Frauenanteil hier sehr gering ist, liegt doch in Österreich gesamt der Frauenanteil in der Sparte Transport und Verkehr bei gerade einmal 13,1 Prozent. In Bereichen mit so wenigen Frauen würde ich auf gezieltes Recruiting setzen, dazu interne Weiterbildungsprogramme, Coaching- und Vernetzungs-Angebote, und eine Arbeitskultur, die eine gute Work-Life-Balance ermöglicht. Wenn Mitarbeiter:innen an ihrem Arbeitsplatz Rahmenbedingungen und Möglichkeiten geboten werden, die ihre eigene Lebenssituation und Lebenswirklichkeit berücksichtigen und wenn Unternehmen auch auf faire und gleiche Chancen für Frauen und Männer achten, hat dies einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit und Motivation aller Mitarbeiter:innen und deren Arbeitsqualität und Leistung.

Sie erforschen die Auswirkungen von Gender auf Innovationen: Welche Erkenntnisse sind dabei für den Mobilitätssektor & ggf. den Güterverkehr besonders relevant?

Relevant ist in der Mobilitätsforschung die Frage, wer welche Verkehrsmittel und Verkehrsinfrastrukturen nutzt – wir wissen etwa, dass Frauen häufiger öffentliche Verkehrsmittel nutzen und komplexere Wegeketten haben, damit also mehr Bedarf am Ausbau und einer guten Taktung der „Öffis“ haben. Auch die Gestaltung von Verkehrsmitteln spielt eine Rolle. Sicherheit muss für alle Nutzer:innen gleich gut gegeben sein, und natürlich auch Benutzbarkeit – Stichwort hohe Treppen, Platz für Gepäck und Kinderwagen, usw. Last but not least sehe ich speziell in der Güterlogistik noch folgende Themen: Innovationen in der Last Mile-Distributionslogistik, Belieferung und Abholung, dynamische Interaktion zwischen Paketzusteller:innen und den Kund:innen, Innovationen hinsichtlich Digitalisierung, alternative Transportmittel und -medien (z.B. Lastenräder, Transportboxen),  Bedienbarkeit neuer Technologien. All das hat Gender- und Diversitätsaspekte, weil es um Themen wie Körperkraft, Kommunikation, digitale Kompetenz usw. geht. Güterverkehr ist jedenfalls aus Genderperspektive ein spannendes und vielfältiges Themenfeld!